Im Kindergarten schon Englisch als Zweitsprache anbieten, Sprachförderangebote wahrnehmen oder doch lieber der natürlichen Entwicklung der Sprache vertrauen? In diesem Artikel gebe ich Dir einen kleinen Überblick.
Naturgegeben oder Fördersache?
Dein Kind kommt grundsätzlich erstmal mit allen Voraussetzungen für Sprache zur Welt, die es braucht. Natürlich sollte untersucht werden, ob alle körperlichen Gegebenheiten für den Spracherwerb erfüllt sind. Der Arzt klärt ab, ob diese Grundlagen gegeben sind (wie z.B. gutes Hören). Neben diesen hat Dein Kind einen ganz natürlichen Drang, sich mit anderen austauschen zu wollen. Und das machen wir in unserer Gesellschaft über Kommunikation. Das heißt nicht nur über Lautsprache, sondern auch über Blickkontakt und Gesten. Damit ein Kind nun aber ein Sprachsystem für sich erschließen kann und sich abgucken kann, wie man dieses im Alltag einsetzt, braucht es unter anderem Dich! Kinder lernen über Nachahmung. Das bedeutet, dass die Sprache, von der es umgeben ist, seine eigene Sprachentwicklung anstößt und beeinflusst. Das passiert durch den sprachlichen Umgang mit Dir als direkter Bezugsperson, aber auch über den Austausch mit Geschwistern, Großeltern, Kindern und Erziehern im Kindergarten oder der Kita, Nachbarskindern, Freunden usw.. Hier spielt nicht die Menge eine Rolle, sondern die Brauchbarkeit. Es hilft nicht, Dein Kind mit Sprache zu überschütten. Du musst erkennen, auf welchem sprachlichen Entwicklungsniveau es sich bewegt und wie Du Informationen und Fragen formulieren kannst, um es sprachlich abzuholen und ganz natürlich zu unterstützen. Das geht ganz ohne gezielte Fördermaßnahmen: im normalen Alltag ohne zusätzlichen Aufwand. Die meisten Kinder erwerben genau auf diesem Weg erfolgreich und problemlos Sprache. Individuelle Förderung ist erst dann notwendig, wenn Du beobachtest, dass die Sprache Deines Kindes sich nicht so entwickelt wie bei anderen Kindern in seinem Alter. Und lass Dir gesagt sein: es gibt immer Kinder, die schon sehr weit sind in ihrer sprachlichen Entwicklung und andere, die langsamer unterwegs sind. Und trotzdem liegen alle diese Kinder innerhalb des normalen Entwicklungszeitraums. Der Prozentsatz von Kindern, die Unterstützung beim Spracherwerb brauchen, schwankt zwischen 2 und 30%. Für diese Kinder, und nur für diese Kinder, kommt eine ganz gezielte Förderung oder Therapie in Frage.
Förderung oder Therapie?
Sprachtherapie ist eine von der Krankenkasse Deines Kindes finanzierte Maßnahme. Sie ist nur dann erforderlich, wenn eine medizinische Indikation besteht.
Was heißt das?! Nur, wenn Dein Kind eine durch den Kinderarzt oder einen anderen Mediziner (Hals-, Nasen-, Ohrenarzt, Pädaudiologen, Kieferorthopäden etc.) festgestellte Sprach- oder Sprechstörung hat, braucht es auch Therapie. Grundsätzlich können bei Kindern Störungen der Sprachentwicklung auftreten, aber auch Stottern oder Probleme hinsichtlich des Muskelgleichgewichts im Mundbereich. Es kann vorkommen, dass ein Kind sich sprachlich langsamer entwickelt als andere Kinder in dem Alter oder dass es grammatikalische Fehler macht, die in der normalen Sprachentwicklung in der Regel nicht vorkommen.
Das ist nicht Deine Schuld, wenn Dein Kind davon betroffen ist: es sind die Gene! Studien zeigen, die Genetik bestimmt zum Großteil, ob eine Sprachentwicklungsstörung entsteht oder nicht. Auch wenn das Sprachumfeld zu Hause das Kind prägt, kann dies keine Sprachentwicklungsstörung auslösen. Die Therapieforschung zur Wirksamkeit der Sprachtherapie steckt in Deutschland leider noch in den Kinderschuhen. Aber auf den meisten Sprachebenen lassen sich durch eine logopädische Therapie nachweisliche Entwicklungsfortschritte erzielen. Ganz besonders, wenn Dein Kind Probleme hat Wörter richtig auszusprechen, nur wenige Worte sagt, Probleme beim Satzbau hat oder Wortformen nicht anpassen kann hilft Sprachtherapie.
Sprachförderung hingegen ist eine pädagogische Maßnahme. Diese wird durch Sprachförderkräfte oder pädagogische Fachkräfte innerhalb von Kindergärten, Kitas oder Grundschulen umgesetzt. Finanziert wird das in der Regel vom Land oder dem Bund.
Sprachförderung ist dann sinnvoll, wenn die sprachlichen Auffälligkeiten, die Dein Kind zeigt, ausschließlich umweltbedingt sind. Es kann sein, dass Dein Kind eine niedrige Sprechfreude hat, zu wenig angemessene sprachliche Anregung bekommt oder Schwierigkeiten hat, Deutsch als Zweitsprache zu erwerben, während es seine Muttersprache vollkommen altersgemäß beherrscht. Hier springen dann Fördermaßnahmen ein. Diese haben sich bisher nur dann als effektiv erwiesen, wenn sie in den Alltag eingebunden werden. Förderansätze, bei denen Kinder ein oder mehrmals wöchentlich in einer separaten Gruppe unterstützt wurdden, waren hingegen weniger erfolgsversprechend.
Du musst nicht selbst entscheiden, ob Dein Kind Förderung oder Therapie benötigt, wenn Du sprachliche Probleme bei Deinem Kind beobachtest. Eine Kombination aus ärztlicher und logopädischer Diagnostik hilft, zu ergründen, ob Förderung oder Therapie in Frage kommt oder Dein Kind vielleicht einfach ein wenig mehr Zeit benötigt, um seine sprachlichen Fähigkeiten zu entfalten. Du bist nicht allein. Erster Ansprechpartner ist in diesem Fall immer der/ die Arzt/ Ärztin. LogopädInnen können nämlich nur tätig werden und Dein Kind gezielt unter die Lupe nehmen, wenn eine ärztliche Heilmittelverordnung für Logopädie vorliegt.
Mehrsprachigkeit oder Sprachenwirrwarr?!
Dein Kind wächst mehrsprachig auf?! Sehr gut! Das ist eine unglaublich wertvolle Ressource, die viel Potenzial in sich trägt. Und das nicht nur bei Sprachen, die ein hohes Ansehen genießen wie etwa Französisch oder Englisch. Sprache und Kultur sind eng miteinander verknüpft. Wir träumen in der Sprache, die uns am nächsten ist, wir drücken unsere Emotionen durch sie aus und auch wenn wir streiten, greifen wir auf sie zurück. Sie prägt unsere Persönlichkeit, vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl und erinnert uns an unsere Wurzeln. Aber nicht nur das: Studien konnten aufdecken, dass Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, über eine größere Anzahl von Neuronen und Synapsen im Gehirn verfügen und mehr Hirnaktivität zeigen. Das befähigt sie dazu, schneller zwischen verschiedenen Aufgaben zu wechseln und Probleme besser lösen zu können. Dadurch, dass sie mit mehreren Sprachsystemen jonglieren müssen, machen sie aber sprachlich auch mehr Fehler als einsprachig aufwachsende Kinder und brauchen im Durchschnitt länger, um sprachliche Aufgaben zu bewältigen. Wichtig ist, diese entwicklungsbedingten Fehler von einer wirklichen Sprachentwicklungsstörung zu unterscheiden. Das entscheidendste Kriterium für das Vorliegen einer Sprachentwicklungsstörung bei mehrsprachigen Kindern ist, dass beide Sprachen von den Problemen betroffen sind. Ist nur eine Sprache betroffen, handelt es sich meist nur um Schwierigkeiten beim Zweitspracherwerb. Diese können wiederum durch gezielte Förderung im pädagogischen und häuslichen Rahmen aufgefangen werden. Mehrsprachigkeit kann kein Auslöser für eine Sprachproblematik sein. Kinder, die mehrsprachig aufwachsen, sind nicht häufiger von einer Sprachentwicklungsstörung betroffen als einsprachig aufwachsende Kinder. Allerdings kann es sein, dass wenn Dein Kind mehrsprachig aufwächst, es schneller von umweltbedingten Sprachschwierigkeiten betroffen ist. Das kann daran liegen, dass es z.B. mit einer der Sprachen zu wenig Kontakt hat und nicht die Möglichkeit hat, diese in seinen Alltag einzubinden. Aber auch dann besteht kein Grund zur Sorge. Eine Förderung mittels bestimmter Sprachlehrstrategien in dieser Sprache kann hier gezielt helfen, den Erwerb zu unterstützen. Dies gilt vor allem, wenn es sich um die Sprache handelt, die im Kindergarten und später in der Grundschule gesprochen wird. Diese braucht Dein Kind, um dort zu lernen. Beherrscht es sie nicht, kann das für Schulprobleme und für einen Stillstand in der geistigen Entwicklung sorgen.
Fremdsprache im Kindergarten - oder Überforderung?
Das Anbieten von z.B. englischsprachigen Liedern, Versen und Abzählreimen im frühen Kindergartenalter ist unbedenklich, wenn Dein Kind daran Freude hat. Erwarte aber nicht denselben Effekt wie bei einem Kind das mehrsprachig aufwächst. Die Sprache wird dann ohne kommunikatives Miteinander erworben. Dein Kind speichert so vereinzelt ein paar neue Wörter ab, die es mit denen verknüpft, die ihm im Deutschen zur Verfügung stehen. Auch die Tatsache, dass viele ErzieherInnen selbst z.B. nicht mit Englisch als Muttersprache aufgewachsen sind, erschwert einen tatsächlichen Erwerb. Generell gilt, dass Dein Kind schon unglaublich viel innerhalb der einsprachigen Sprachentwicklung leistet und ein kleines Sprachwunderwerk ist. Wenn es sich sprachlich gut entwickelt und Spaß daran hat, sich eine weitere Sprache spielerisch anzueignen, brauchst Du es nicht bremsen. Dies darf allerdings nicht in einem Lernzwang ausarten und sollte ganz natürlich in den kindlichen Alltag eingebettet werden.
Mehrsprachige Kindergärten machen vor allem dann Sinn, wenn Dein Kind Interesse an anderen Sprachen zeigt und Du selbst eine persönliche Verbindung zu der jeweiligen Sprache hast. Zudem sollte die pädagogische Fachkraft diese Sprache nicht als Zweitsprache hin und wieder verwenden, sondern in den Alltag einbetten. Das gelingt am besten, wenn sie selbst mit dieser Sprache aufgewachsen ist. Wenn Du die zusätzliche Sprache weder beherrschst noch andere Personen aus Ihrem Umfeld und keine Weiterführung durch bilingualen Unterricht in der Grundschule stattfindet, macht ein mehrsprachiges Angebot nur bedingt Sinn. Mit Eintritt in die Schule hat Dein Kind dann möglicherweise keine Möglichkeit mehr, die jeweilige Sprache in seinem Alltag zu verwenden. Dadurch geht das Erlernte zu einem Großteil wieder verloren.
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